„Im Steppenwind – Nuomin He, der fliegende mongolische Fotograf“

Länder, Menschen, Abenteuer, SWR 2012

Der Rumpf seines Flugzeuges erinnert an eine Badewanne, die Flügel sind mit Zeltstoff bespannt. Seinen Pilotenhelm schmückt ein roter Stern. Nuomin He ist fliegender Landschaftsfotograf. Mit links steuert er das Ultraleichtflugzeug, mit der anderen Hand bedient er seine Hasselblad Fotokamera. Jahrelang war er ein erfolgreicher Unternehmer, bis er sich eines Tages fragte, „Was will ich wirklich?“ Seine Antwort lautete: Fliegen und Fotografieren. Er begann, seinen Traum zu leben. Inzwischen ist er weltweit der einzige professionelle Luftbild-Fotograf, der für seine Aufnahmen stets selbst am Steuerknüppel sitzt. Jeden Sommer fliegt er über die unendlichen Weiten der Inneren Mongolei in Nordchina. Seine beeindruckenden Fotos zeigen mäandernde Flüsse, hügliges und grün schillerndes Grasland. Für seine Aufnahmen riskiert er gewagte Manöver in tückischen Winden. “Ich sehe gerne den Adlern beim Fliegen zu. Dieses Gefühl des Fliegens wird das Huhn am Boden nie erleben”, sagt der 52jährige, der selbst ethnischer Mongole ist. Anhand einzigartiger Luftaufnahmen erzählt “Im Steppenwind” seine Geschichte. Die Landschaft der Inneren Mongolei steckt voller Naturwunder, doch sie wandelt sich dramatisch. Bei seinen Zwischenlandungen lernt Nuomin He die Nöte und Hoffnungen seiner Landsleute kennen. Der Wirtschaftsboom hat Schleifspuren in der ehemals unberührten Landschaft hinterlassen. Täglich erleben sie den Widerspruch zwischen mongolischen Traditionen und dem chinesischen Wirtschaftswunder. Auch Nuomin ist Hin und Her gerissen zwischen Hightech und Aberlaube.  

He feiert mit den Nomaden und besucht abgelegene Bergdörfer. Er sieht wunderschön mäandiernde Flüsse aber auch austrocknende Seen. Er trifft einen Ringerfreund beim Nadam, dem wichtigsten Fest der Mongolen. Und er besucht die Ruinen der Mongolenhauptstadt Xanadu, der einst größten Stadt der Welt. Aus den grünen Weiten erheben sich plötzlich die quadratischen Befestigungswälle der alten Metropole. Hier fühlt er eine tiefe Verbundenheit zu seinen mongolischen Wurzeln.

Am Dalinuo´er See treten die Veränderungen besonders scharf hervor. Der ehemals riesige See schrumpft jedes Jahr. Zurück bleibt der nackte Seegrund, eine Wüstenfläche, von der bei windigem Wetter Sandstürme aufsteigen. Nuomin He fliegt mit seinem kleinen Flugzeug so hoch er kann. Um den Rückgang des Wassers zu dokumentieren, möchte er eine Aufnahme eines nahegelegenen Berges machen, der früher als Insel vom Wasser des Sees umspült wurde. Erst aus dieser Perspektive wird deutlich, wie weit sich das Wasser schon entfernt hat. Doch immer wieder macht ihm das tückische Wetter einen Strich durch die Rechnung. Nuomin ist ein besonderer Umweltschützer. Er zeigt den Menschen auf dem Boden die unendliche Schönheit ihrer Landschaft.

Dann wieder fliegt He über die unendlichen Weiten des Graslands. Hier, fernab der Zivilisation, trifft er nur selten auf Menschen. Die Kinder winken, als er tief über eine Ansammlung von Jurten fliegt. Der unwahrscheinliche Flieger ist eine willkommene Abwechslung im eintönigen Alltag der Kashmirziegen-Nomanden. Wenn das Wetter ihn zur Landung zwingt, übernachtet er in ihren Jurten, bis er wieder starten kann. Zu seinen Ehren schlachten sie einen Hammel, den sie auf traditionelle Weise zubereiten. Nuomin He ist in der Stadt aufgewachsen. Das Leben an der Seite der Nomaden ist auch für ihn eine besondere Erfahrung. Beim gemeinsamen Abendessen bei Hirseschnaps und Kerzenlicht lernt er, wie die Nomaden in den Steppen Nordchinas heute noch ihre traditionellen Bräuche pflegen und wie sie versuchen, Altes und Neues unter einen Hut zu bringen. Gemeinsam mit einem mongolischen Ringkämpfer besucht Nuomin He ein Nadam, das wichtigste Fest im mongolischen Kalender. Vor allem die Ringkämpfe auf dem Fest ziehen die Menschen in ihren Bann.

Vor dem Flug über die Ruinen der alten mongolischen Hauptstadt Xanadu ist Nuomin He aufgeregt. Der Anblick ist majestätisch. Sogar Marco Polo besuchte Xanadu angeblich im Jahr 1275 und war überwältigt. Damals waren die Mongolen Herren über ganz China, und ihre Reiterheere waren bis kurz vor Wien vorgedrungen. Doch dann wurde die Stadt von den Armeen der aufsteigenden Ming-Kaiser dem Erdboden gleich gemacht. Nur aus der Luft erkennt man unter dem dichten Grasbewuchs noch die Grundmauern der Gebäude. Für Nuomin He ein heiliger Ort. Doch als er über die Mittelachse der alten Stadt fliegt, geschieht etwas Merkwürdiges. Der Auslöser seiner Hasselblad versagt, er kann keine Fotos schießen. Er dreht ab. Erst in respektvollem Abstand funktioniert die Kamera plötzlich wieder. Für den Piloten ein Zeichen der Geister seiner mongolischen Vorfahren. Er beschließt zu landen und den geheimnisvollen Ort zu Fuß zu erkunden. Blitze durchzucken den grauverhangenen Himmel, als Nuomin He die Ruinenstadt erreicht. An den Fundamenten der Stadt betet er zu den mongolischen Kahnen.

In den Szenarien der Pekinger Planer ist die Innere Mongolei vor allem wegen ihrer gigantischen Energie-Reserven entscheidend. Die Provinz hat nicht nur Kohle, sondern auch Wind. Immer mehr Windparks werden gebaut. Wenn die Winde über die Steppe fegen, dann sollen sie in Zukunft auch das chinesische Wirtschaftwunder antreiben. In Chifeng steht schon heute eine der größten Windfarmen der Welt. Auch hier gelingen Nuomin He spektakuläre Luftaufnahmen. Erst aus der  Luft erschließt sich das Ausmaß der Anlage.

Ganz selten nur werden einem westlichen Kamerateam Luftaufnahmen in China erlaubt. Frank Sieren, Dokumentarfilmer und Bestellerautor („Angst vor China“) und laut London Times einer der führenden deutschen Chinakenner, hat nach langen Vorbereitungen die Erlaubnis zu den einzigartigen Aufnahmen bekommen.